Überzeugen aus Überzeugung

Überzeugen aus Überzeugung

Nach einem Pilotprojekt im vorletzten Jahr engagiert sich Sense Organics nun in verbindlichem und größerem Maßstab in der Zusammenarbeit mit Bäuerinnen und Bauern im Herzen Myanmars. Ziel ist es, schrittweise die Prinzipien von Bio-Landbau und Fair Trade einzuführen. Dazu braucht es nicht zuletzt viel Überzeugungskraft.

Die Gelenke fühlen sich etwas verbogen an und zwischen Zähnen knirscht der Staub, als das Sense Organics-Team von der Pritsche des kleinen Lastwagens auf die sandige Hauptstraße des Dorfes in der fruchtbaren Ebene Myanmars springt.

Jetzt zur kühlen Jahreszeit wirkt das Land steppenhaft und beinahe karg, denn die Regenzeit ist seit wenigen Monaten vorbei. In der schwollen die Bäche und Flussläufe, die sich jetzt fast ganz ausgetrocknet durch die Ebene ziehen und ringsherum prangte bis vor Kurzem die Natur noch in üppigem Grün.
Diese klimatischen Bedingungen in dem südostasiatischen Land sind günstig für den erfolgreichen Anbau von Bio-Baumwolle. Doch bislang spielt die flauschige Kulturpflanze in der Landwirtschaft Myanmars nur eine nachgeordnete Rolle. Reis, Linsen, Bohnen, Nüsse und Zuckerrohr bilden dort nach wie vor den Hauptteil der bäuerlichen Erzeugnisse.

Chance und Risiko

Das wird sich über kurz oder lang ändern. Denn Myanmars Lage mitten im sogenannten weltweiten Baumwollgürtel, der sich zwischen 43 Grad nördlicher und 36 Grad südlicher Breite erstreckt – also von der Höhe Nordgriechenlands bis nach Südaustralien – ist prädestiniert für den Baumwollanbau.
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass auf allen Kontinenten große Landflächen im Baumwollgürtel liegen. Auf vielen davon wurde bereits über Jahrhunderte Baumwolle angebaut und man würde es dort auch heute noch betreiben, hätte man sich nicht die Böden durch rücksichtslosen und exzessiven Baumwollanbau ruiniert.

Die Ursachen dafür liegen zum einen in der Natur der Baumwolle, zum anderen im Umgang der Menschen damit.
Baumwolle wächst langsam. Wenn die Erntezeit endlich da ist, müssen die Felder im konventionellen Anbau schnell wieder bestellt und die neue Saat ausgebracht werden. Die Böden haben so keine Zeit brach zu liegen, um sich zu erholen. Auch sogenannte Zwischenfrüchte können nicht angebaut werden. Doch genau die würden dem Boden für ihr Wachstum andere Nährstoffe abnehmen als die Baumwollpflanze, so dass sich die Fruchtbarkeit und auch die Biodiversität erhöhen.

Ackerböden, auf denen jahrein jahraus nur Baumwolle wächst, sind also bald ausgelaugt. Den Rest geben ihnen die Pestizide. Denn in vielen Ländern wird Baumwolle auf riesigen Flächen kultiviert, auf denen weit und breit keine andere Pflanze wächst. Nistet sich dort an einer Stelle ein Schädling ein, ist schnell das ganze Riesen-Feld betroffen und es droht ein totaler Ernteausfall.

Deswegen sind diese Agrarsteppen besonders auf Pflanzenschutz-Chemikalien angewiesen, denn ohne sie wäre der konventionelle Baumwollanbau in dieser Größenordnung überhaupt nicht machbar. Das hat dazu geführt, dass Baumwolle das landwirtschaftliche Produkt mit dem höchsten Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmitteln geworden ist. Etwa ein Zehntel der weltweiten Pestizid-Produktion wird auf Baumwollfeldern ausgebracht.

Die Folgen sind bekannt: kaputte Ackerböden, kranke Menschen, belastetes Grundwasser, und Rückgang der Artenvielfalt.
Doch das muss nicht so sein.
Baumwolle kann auch in zertifiziertem biologisch kontrolliertem Anbau erfolgen. Das beweist Sense Organics seit beinahe einem Vierteljahrhundert.
Seitdem sind viele Bio-Verfahren erprobt und verfeinert worden. Vieles musste man sich neu erarbeiten. Zwar hatten die Menschen Baumwolle auch schon lange vor der Erfindung von chemischen Pflanzenschutzmitteln erfolgreich angebaut, doch wenige Bäuer*innen-Generationen, die ausschließlich damit arbeiteten, genügten, um das alte Wissen in Vergessenheit geraten zu lassen.

Überzeugungskraft

Heute braucht es deshalb viel persönlichen Einsatz und Kraft, um die Landwirt*innen davon zu überzeugen, aus den mittlerweile eingefahrenen Spuren auszubrechen und Neues zu wagen. Es gilt, Menschen für das Vorhaben einzunehmen, die tief in dem Land, auf dem sie leben verwurzelt sind.
Sie pflegen Jahrhunderte alte Traditionen und wissen, wie mühsam es ist, mit eigener Hände Arbeit dem Boden auch in schlechten Jahren etwas abzutrotzen. Sie sind keine Berliner Start-Up Hipster, für die gelegentliches Scheitern zum Lifestyle gehört. Missernten sind für die Kleinbauern Myanmars unmittelbar existenzbedrohend.
Sie wissen natürlich, dass der Verzicht auf den konventionellen Baumwollanbau mit ständig gleichen Pflanzen und Pestizid-Einsatz für sie in absoluten Zahlen weniger Ertrag bedeutet. Viel Ertrag heißt auf dem internationalen Markt viel Einkommen.
Kenngrößen wie Lebenszufriedenheit, die Gesundheit von Böden und den Menschen, die sie bearbeiten, Artenvielfalt und sauberes Wasser spielen dabei leider keine Rolle.

Lange sitzt das Sense Organics-Team deshalb auch an diesem Nachmittag auf den groben Holzbänken in der kleinen Laube mit dem von Spinnweben durchzogenen Dach aus Palmblättern und diskutiert mit den zusammen getrommelten Bäuer*innen des Dörfchens.
Sie haben viele Fragen, die im Grunde oft banal sind, aber mit höchster Vehemenz vorgebracht werden.
Oft dreht sich das Gespräch im Kreis. Wäre dies ein Meeting in einem westlichen Land, würde man Kette rauchen und die Aschenbecher überquellen. In Myanmar ist aber das Kauen der Betelnuss das Mittel der Wahl und einige der Bauern haben den Mund damit so voll, dass auch die Übersetzer des Sense Organics-Teams ihre Mühe haben, sie zu verstehen.

Zwei Seiten der selben Medaille

 

Chinesische Großaufkäufer hätten hier einfach nur eine klare Ansage gemacht und wären dann – friss oder stirb! – weitergezogen. Doch bei Sense Organics setzt man auf Überzeugen statt auf Überreden.
Das muss man auch, denn nachhaltig Baumwolle in Bio-Qualität zu erzeugen, setzt das Verstehen der Zusammenhänge, Abläufe und Zertifizierungsregeln für Bio-Baumwolle und GOTS-zertifizierte Textilien voraus.

Für eine Bäuerin im Schwemmland des Irrawaddy-Stromes, Myanmars Lebensader mit Ursprung in den Gletschern Tibets, ist es verständlicherweise nur schwer vorstellbar, dass das Erzeugnis ihrer Hände Arbeit schon bald im Sense Organics-Webshop erstanden werden kann und als Baby-Strampler ein 1-jähriges Mädchen in Deutschland wärmt, dass in 20 Jahren vielleicht mit dem Rucksack auf dem Rücken selbst durch Myanmar streifen wird.

Auch sie wird sich dann vermutlich keine Gedanken machen, wer die Baumwolle für ihr T-Shirt in Bio-Qualität angebaut und sich am anderen Ende der Welt auf die Herausforderung „Bio-Baumwolle“ eingelassen hat. Und doch gehören sie zusammen, stehen in Beziehung zu einander und sind zwei Seiten der selben Medaille.

Denn sie sind beide Überzeugungstäterinnen.
Die eine, weil sie verstanden hat, dass sie nur mit biologischem Landbau ihre fruchtbaren Ackerböden an ihre Kinder weitergeben kann.
Die andere, weil sie verstanden hat, dass es nicht egal ist, ob man Billig-Klamotten kauft, sondern dass auch sie mit ihrer Kaufentscheidung Verantwortung übernehmen kann und mittelbar Einfluss auf die Lebensrealität der Menschen in dem kleinen Bauerndorf in Myanmar nehmen kann.

Mit denen diskutiert das Sense Organics-Team in der palmwedelgedeckten Hütte mittlerweile zum x-ten Mal über die simple Frage, wer aus dem Dorf mit wem auf dem Moped zum wenige Kilometer entfernten Ablieferpunkt für die Ernte fährt, um die Formalitäten zu erledigen.

Das macht aber nichts, denn auch bei Sense Organics sind alle Überzeugungstäter*innen.



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